Nie mehr zurück in dieses Land – Augenzeugen berichten über die Novemberpogrome 1938

8. November 2009 | Von | Kategorie: Allgemein

Nie mehr zurueck in dieses LandUta Gerhardt, Professorin für Soziologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg von 1993 bis 2003 stieß bei ihrer Arbeit mit dem Nachlass von Edward Hartshorne auf mehr als 250 authentische Augenzeugenberichte von Emigranten, die ihrer persönlichen Erlebnisse in der Pogromnacht von 1938 schilderten

Sie waren 1939/40 im Rahmen eines Aufrufs der Universität Harvard gesammelt worden, an dem sich mehr als 250 Emigranten beteiligten. Eine vergleichbar dichte, authentische Schilderung des von den Nazis organisierten Terrors gegen die jüdischen Mitbürger in Deutschland und Österreich gibt es nicht. Der Soziologe Edward Hartshorne, stellte die bewegenden Zeugnisse zu einem Buch zusammen, das er wegen des Kriegseintritts der USA jedoch nicht mehr veröffentlichen konnte. Für seine Doktorarbeit über »Deutsche Universitäten unter dem Nationalsozialismus« hatte Hartshorne Deutschland 1935/36 bereist. Nach dem Krieg kam er als Entnazifizierungsoffizier nach Deutschland zurück und sorgte dafür, dass die Universitäten Heidelberg, Marburg und Frankfurt entnazifiziert und wiedereröffnet werden konnten. Es gelang ihm auch, seine Frau davon zu überzeugen, nach Deutschland zu kommen. Sie traf im Juni 1946 mit den drei Kindern ein. Am Abend des 28. August wurde Hartshorne auf der Autobahn Richtung Nürnberg angeschossen, vermutlich von einem versprengten Nazi oder betrunkenen Schwarzmarkthändler; zwei Tage später erlag er seinen Verletzungen.

Das Originalmanuskript Hartshornes ist jetzt herausgegeben von Uta Gerhardt und Thomas Karlauf bei Propyläen erschienen.
Nie mehr zurück in dieses Land: Augenzeugen berichten über die Novemberpogrome 1938 / hrsg. von Uta Gerhardt und Thomas Karlauf. Berlin : Propyläen, September 2009, 362 S. ISBN: 978-3-549-07361-2 bestellen bei Libri

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  1. Ich finde das Buch “Nie mehr zurück in dieses Land” eher kontraproduktiv für den Umgang der Bürger von heute mit Mitmenschen, die Minderheiten angehören. Als Schüler hatte ich eine jüdische Mitschülerin verehrt, es konnte auf Grund der bis dahin viel zu sehr zurückhaltenden Bundespolitik seit 1949, die eher nur die Schcksalsgruppe der Heimatvertriebenen unterstützt hatte, – ich bin Jg. 1961 und Sohn zweier Vertriebener aus unterschiedlichen Regionen – nie ein wärmeres Verhältnis gedeihen. Die Familie, der die Klassenkameradin angehörte, stammte aus Polen. Auf Grund dieses eindrucksvollen Erlebnisses hielt ich kategorisch an dem Wunsch fest, dereinst mich mit einer jüdischen Partnerin liieren zu wollen, worauf ich heute noch immer warte. Trotz Mitgliedschaft in Vereinen wie DIG und CJZ, trotz Registratur in Jüdischen Internet-Singlebörsen ist mir bis dato eine Liaison meiner Wunschwahl noch nicht geglückt.
    Dass ich unter diesen Umständen nicht mit Jubel aufnehme, wenn noch Ende 2009 ein Buch veröffentlicht wird, das von Bürgern handelt, die sich leider weigerten, nach 1945 in Deutschland wieder ihren Wohnsitz zu nehmen, müsste eigentlich von jedem Menschen mit Gefühl verstanden werden. Wie Sie sehen, stehe ich eindeutig auf Seite der Exilrückkehrer, über die ich in jedem Einzelfall glücklich bin.
    Ich bin der Meinung, man habe nach Gründung der Bundesrepublik große Fehler gemacht. Viel zu restriktiv verhielt man sich. Besser wäre gewesen, das Augenmerk auf Exilrückkehr bzw. Verbleib Überlebender im Land zu richten, statt alte Parteigenossen zu neuen Ehren kommen zu lassen. Jeder, der sich weigerte, aus dem Exil in die alte Heimat zurückzukehren bzw. nachträglich als Überlebender noch – sinnlos – abgewandert ist, gab den Nazis im nachhinein in diesem Punkte zumindest Recht, und genau dies ist ein fataler Fehler, wenn man an die Mitbestimmung in der Demokratie denkt. Die Betreffenden wären eindeutig die allerbesten Demokraten gewesen, deren Wählerstimme äußerst wichtig gewesen wäre, sie hätte man beim Neuaufbau der Demokratie nach 1945 dringend brauchen können. Ferner bin ich der Meinung, man hätte sollen zumindest die Sozialdemokraten an der ersten Bundesregierung mit beteiligen, evtl. gar in Form einer Allparteienregierung (nach Modell von 1919/20), und nicht bis Ende 1966 auf der Oppositionsbank ausharren lassen sollen.
    Noch in den 1990er Jahren beging der Liberale Ignatz Bubis einen fatalen Fehler, was Normalisierung betrifft. Er hätte niemals das ihm von Richard v. Weizsäcker angetragene Amt, dessen Nachfolger als Bundespräsident werden zu sollen, ausschlagen dürfen, sondern vielmehr die Jahre 1994 bis 1999 unser Staatsoberhaupt sein sollen. Mit seinem Schritt hat auch er auf lange Zeit alten und neuen Nazis Recht gegeben. Gerade in den jungen Jahren nach der Wiedervereinigung hätte ein Holocaustüberlebender als Bundespräsident unserem Land zu internationalem Ansehen verhelfen und hiermit einen wichtigen Beitrag zur Normalität im Umgang mit einst verfolgten Minderheiten leisten können.
    Seit dem Tod des charmanten Schlesiers setze ich nun auf Leute wie Michel Friedman, Dieter Graumann, Salomon Korn, Michael Wolffsohn, Henryk M. Broder oder Rafael Seligmann, auf dass einer von ihnen möge 2014 Horst Köhler nachfolgen.
    Ich jedenfalls hätte mir die Edition des Buches reiflich überlegt, zumal seit Ende des Zweiten Weltkrieges fast 65 Jahre vergangen sind. Noch heute betrachten viele Bürger es leider als “richtig”, dass sowohl in der NS-Zeit die “Arisierung” stattgefunden hat, als auch danach eine Rückgabe an die Ursprungsbesitzer in echter Form kaum verwirklicht wurde und der Verzicht dominierte. Ich selbst betrete keine Geschäfte, die in Hand der “Arisierer”-Familien geblieben sind.
    Die Politik sollte sich vielmehr auf die Karten setzen, auch heute noch die Nachkommen der Betroffenen in unser Land zurückzuholen, darum zu werben. Der Oberbürgermeister meines Wohnortes, im Amt seit 2008, Sozialdemokrat, sagte wenige Monate nach seinem Amtsantritt bei einem Besuch einer Jugendgruppe aus Israel, dass die Gäste “immer willkommen” seien, und äußerte Zuversicht, dass manche von ihnen vielleicht hier studieren oder auch heiraten werden. Er gab meiner Meinung nach ein richtiges, ein gutes Signal ab. Sein Vorgänger, Christlich-Sozialer, hätte diese Worte meiner Einschätzung nach nie verloren, denn er war einst im 2. Wahlgang erst auf Rang 1 gerückt, und dies mit Hilfe der rechtspopulistischen “Republikaner”. Es ist beschämend, dass der seinerzeitige Spitzenkandidat der rechten Partei später zu den Konservativen übergelaufen war – obendrein ein Justizvollzugsbeamter! -, aber gottlob nicht mehr erneut in den Stadtrat gewählt wurde.
    All das wäre nie in dieser Form passiert, wenn wir genügend Nachkommen Holocaustüberlebender als Mitbestimmende unter uns hätten. Und für mich wäre hinsichtlich meiner privaten Pläne auch ein riesiges Hindernis aus dem Weg geräumt.

    Dies – meine Damen und Herren, meine lieben Freunde – sollte man auch dem “Propyläen”-Verlag und sämtlichen noch lebenden im Buch Beschriebenen zum Überdenken weiterleiten.
    Ich wäre froh, wenn man ein erneutes ständiges Miteinander in alten Gefilden, an alten Stätten wieder beginnen und demnach auch einen gedeihlichen Umgang praktizieren könnte.
    Darauf hoffe ich seit Jahrzehnten!
    In diesem Sinne auf einen frohes ständiges Wiedersehen
    am Strande von Donau, Elbe oder Rhein
    shalom masal-tov
    D. O.