Warum ich 2011 kein Buch verlege. Ein »offener Brief« von Lisette Buchholz, persona Verlag

17. Juni 2011 | Von | Kategorie: Buchmarkt regional

Die Erde würde ohne uns Men­schen auch ganz gut laufen, meinte der scharfzüngige Wolf­gang Neuss. Und manchmal denke ich, das gilt auch für den Li­te­ra­tur­be­trieb, der Li­te­ratur ei­gent­lich gar nicht braucht. Die Puzz­le­teil­chen der Branche lassen sich ge­winn­brin­gend zu immer neuen Mus­tern zu­sam­men­setzen, ohne dass wirk­lich Neues nötig wäre. Fes­ti­vals, Preis­ka­rus­selle, In­ter­views, Hit- und Hot­listen, Talks­hows, Star­fotos von Schrift­stel­lern und Schrift­stel­le­rinnen, die sich für Hoch­glanz­ma­ga­zine eignen, mit den pas­senden Ho­me­storys – das reicht, um den Be­trieb am Laufen zu halten.

Nach­denken? Nach­sinnen? Einen Schritt bei­sei­te­treten? Das Feld räumen? Aufräumen? Von wegen. Das Leben, zumal das li­te­ra­ri­sche, ist eine Ach­ter­bahn.

Jeden Don­nerstag, wenn ich das Börsen­blatt aus dem Kasten ziehe, weiß ich schon, welche Gefühle mich er­regen werden, wenn ich es durchblättere. Ist das noch meine Branche? Habe ich einen Verlag gegründet, um dabei mit­zutun? Ich sehe meine Au­to­rinnen und Au­toren vor mir – sie eignen sich zu al­ledem nicht. Die­je­nigen, die nicht mehr leben, schon gar nicht. Zu ernst­haft, zu selbstständig, zu wenig markt­ge­recht, waren bzw. sind sie nie an den rich­tigen Orten, um ein­schlägige Kon­takte zu knüpfen. Alle Vor­aus­set­zungen für den Beruf des Ada­beis fehlen ihnen. Manche leben im Aus­land und sind in Deutsch­land schwer un­ter­zu­bringen.

Die ag­gres­sive Ver­mark­tung von Li­te­ratur mag über den At­lantik zu uns herüber­ge­schwappt sein. Schon Vicky Baum wusste davon ein Lied zu singen. Trotzdem liebe ich die Li­te­ra­tur­kri­tiker der New York Times. Man erfährt tatsäch­lich etwas über die be­spro­chenen Bücher und deren Ver­fasser und re­lativ wenig über die Scri­benten der Re­zen­sion. Hier­zu­lande über­wu­chert die Kritik oft die Pro­duk­tion. Und so er­freu­lich die Exis­tenz zahl­rei­cher Li­te­ra­tur­preise und -sti­pen­dien ist, zei­tigen sie so etwas wie eine Förder­li­te­ratur, deren ge­mein­sames Merkmal …  nun, lassen wir das.

Ich werde den Ver­dacht nicht los, dass der blu­tige Ader­lass von 1933 Gräben hin­terließ, die immer noch spürbar sind. Er­mor­dung und Ver­trei­bung töteten auch eine Tra­di­tion kri­tisch ge­pflegter Sprache. Die Exil­li­te­ratur ist die letzte Tranche der deutsch­spra­chigen Klassik. Stellen Sie sich Walter Ben­jamin oder Georg Her­mann auf einem der heute übli­chen Mega-Events vor. Sie würden nicht an­reisen, glaube ich, ob­wohl Hein­rich Mann es zu seinen schönsten Vor­lese-Er­leb­nissen zählte, in einem großen Ber­liner Kauf­haus während der Geschäfts­zeit auf­zu­treten. Im­merhin gibt es auch bei toten Au­toren jener Epoche un­ver­hoffte, durchaus er­folg­reiche Wie­der­be­le­bungs­ver­suche. Der Im­puls dazu geht oft von einem an­deren Land aus, so ge­schehen bei „Alone in Berlin“ von Fal­lada.

Es ist nicht nur die Qualität der heute ge­pu­shten, über­morgen ver­ges­senen Best­seller, die mich vor den Kopf schlägt, son­dern auch die schiere Quantität. Würden sich alle Ver­lage auf drei Titel im Jahr be­schränken, könnten wir diese Pro­duk­tion zur Kenntnis nehmen. Aber so? Muss es denn so viel sein? Ver­dauen wir Ka­viar und Sahne in Ki­lo­por­tionen? Oder nur dünne Suppen und Pommes?

Mein ver­le­ge­ri­sches Über-Ich quält mich mit Vorwürfen. Tat­sache ist, dass ich in diesem Jahr keinen neuen Titel ver­lege. Es gibt eine Pro­duk­ti­ons­pause. Nicht nur Geld­sorgen haben diesen Ent­schluss befördert. Ich habe keinen Titel ge­funden, bei dem es gekrib­belt hätte. Und krib­beln muss es. Wenn schon keine Aus­sichten be­stehen, mit einer Neu­er­schei­nung, einer über­setzten zumal, in ab­seh­barer Zeit schwarze Zahlen zu er­rei­chen, muss es we­nigs­tens ein Buch sein, für das mein Herz schlägt. Apropos Li­zenzen: Auch dieser Markt wu­chert. Es grenzt an Wahn­sinn, was manche Agen­turen ver­langen. Aber wenn man be­denkt, dass bei markt­kon­formen Ti­teln lu­kra­tive Zweit- und Dritt­ver­mark­tungen winken, sind diese Preise leider ge­recht­fer­tigt. TV-Filme, Se­rien, Ki­no­filme, Un­ter­li­zenzen aller Art sowie das ganze Mer­chan­di­sing: Ben­ja­mins Deut­sche Men­schen als Plüsch­ge­stalten, Jett­chen Ge­bert als An­zieh­puppe oder vir­tu­elle Person im in­ter­ak­tiven Spiel.

Die Zu­nahme von Gra­phic No­vels deutet darauf hin, dass eine ge­wisse Übersätti­gung am allzu Bunten ein­ge­treten ist. Go­thic- und Fan­ta­sy­titel da­gegen ver­langen knal­lige Cover und die ent­spre­chende Wer­bung. Auch die Vor­schauen werden immer opu­lenter und erin­nern an Li­festyle-Wer­be­pro­spekte. Seit Jahren haben wir uns an die Heer­scharen von Manga-Kostümierten auf den Buch­messen gewöhnt. Ein ur­li­te­ra­ri­sches Er­lebnis. Laut Sta­tistik ist al­ler­dings der Markt­an­teil dessen, was wir Li­te­ratur nennen, am Buch­ver­kauf ver­schwin­dend ge­ring. Über­haupt Messen: Warum dürfen wir nicht ver­kaufen? An­ge­sichts einer Buchhänd­lerin, die mir allen Ernstes erklärt, wenn sie einen Titel bei Amazon nicht findet, sei der nicht lie­ferbar? VLB – ein Fremd­wort. Auf die Idee, beim Verlag nach­zu­fragen, ist sie nicht ge­kommen. Dazu fällt mir nichts mehr ein. Da hilft nur noch schot­ti­scher Whisky.

Die Back­list war früher der Kron­schatz der Ver­lage, unser Rück­grat. Heute bricht sie uns in Form der La­ger­kosten das Ge­nick, denn so gut wie nie­mand möchte ein altes Buch be­stellen. Alt, das be­deutet: keine Neu­er­schei­nung. Neu heißt: ein bis drei Mo­nate alt. Auch in den Feuil­le­tons gilt ein Titel als alt, wenn er in der vor­an­ge­gan­genen Saison er­schienen ist. Erst gab es leider keinen Platz, ihn vor­zu­stellen, dann ist er zu alt. Was der Buch­handel liebt, heißt „Schnell­dreher“. Heute rein, morgen raus. Die Be­zie­hung zwi­schen Kunst und Kom­merz gehört zu den uner­forsch­lichsten. Ich grüble viel darüber nach und komme zu keinem Ende. Die übliche Paar­the­rapie greift hier nicht.

Ob das E-Book uns glück­lich macht? Ich hege starke Be­denken, was pas­siert, wenn mir der Kindle in die Ba­de­wanne fällt. Oder sich beim Schmökern im Bett der Akku ent­leert. Da bleibt dann nur die Me­di­ta­tion über den leeren Bild­schirm. Non-Books sind oh­nehin der Renner!

Georg Her­mann un­ter­schied zwi­schen Büchern, die uns etwas geben, und sol­chen, die nur in­ter­es­sieren. Wann hast Du zu­letzt ein Buch ge­lesen, dass Dir etwas gab? Du kannst es mehr­fach lesen, Du wirst immer neue Seiten an ihm ent­de­cken. War es bloß in­ter­essant, wirst Du es wei­ter­ver­schenken oder ihm einen Platz auf einer Park­bank zu­weisen.

Ich mache jetzt einen Spa­zier­gang und denke über rätsel­hafte Ge­dicht­zeilen von Josef Brodski nach. Sie beschäftigen mich übri­gens schon eine ganze Weile. Man kann sie wie eine Murmel hin- und her­wenden und immer leuchten sie ein biss­chen an­ders. Mehr Leuchten wär schön. Licht, zumal Blitz­licht, haben wir ja genug im Li­te­ra­tur­be­trieb.
© Li­sette Buch­holz, per­sona verlag

zuerst veröffentlicht bei »lesenleben.de« dem Blog von Gesine von Prittwitz

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Ein Kommentar
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  1. Ja! Ja?
    Was man “Literaturbetrieb” nennt (einen Zweig der viel beschworenen “Kreativwirtschaft”) ist ein Reißwolf. Der Hunger nach frischem Lesefutter steigt mit der Masse der Neuerscheinungen. Es ist der Hunger der Verlage nach Marktanteilen, der zunimmt, der Hunger der Autorinnen und Autoren nach Wahrnehmung, der Hunger der Leserinnen und Leser nach passendem Stoff. Der wachsende Hunger wird schon immer begleitet von einer grassierenden Erschöpfung und Markt-Müdigkeit bei den Beteiligten, aber diese mir sehr verständliche und auch sympathische “Dekadenz” verteilt sich über die Zeit und auf die Protagonisten: Ein Glück für die Welt, die mir ohne Menschen und ohne Literatur nicht gefallen würde. Die Welt bleibt ein chaotischer Marktplatz, auch wenn der “virtuelle Handel” künftig sicher sogar noch zunehmen wird. Einem Autor, dem von vielen Verlagen eine Absage erteilt wurde, kann man es wohl nicht verübeln, sein Glück zum Beispiel bei Kindle-Publishing zu suchen. Der Leser hat es heute mehr denn je in der Hand, wen und was er lesen will, und ich bin sicher, dass Verlage wie der Ihre Frau Buchholz, schon jetzt Werke geschaffen hat, die für den “Reißwolf Literaturbetrieb” gar nicht bekömmlich sind, sprich: solide, gute und vor allem langlebige Werke, die sicher auch länger leben werden, als es normalerweise “Backlists” von “normalen” Verlagen tun – da landet man nämlich schon nach wenigen Jahren in der großen Schublade mit der Aufschrift: Vergriffen! Gut, wenn und dass zu diesem Zeitpunkt ein paar hundert oder tausend der vergriffenen Werke in der Welt sind – ohne Verfallsdatum. In diesem Sinn wünsche ich Ihnen bei Ihrem nächsten Spaziergang “ein Licht über dem Kopf” und ein Leuchten im Verlegerherz!