Mannheim: Eine Offenbarung

28. März 2006 | Von | Kategorie: Literaturveranstaltungen

Am 27. März 1606, nach der heutigen gregorianischen Zeitrechnung, legte Kurfürst Friedrich IV. von der Pfalz den Grundstein zur Festung Friedrichsburg, die Bestandteil der neu zu gründenden Stadt (Mannheim 1607) werden sollte. Dieses Datum nutzte die Dramaturgie des Mannheimer Nationaltheaters, im Vorgriff auf das anstehende Stadtjubliäum, zu einer Veranstaltung der besonderen Art.

“Und die Stadt liegt viereckig, und ihre Länge ist so groß als die Breite. Und er maß die Stadt mit dem Rohr auf zwölftausend Feld Wegs. Die Länge und die Breite und die Höhe der Stadt sind gleich. [...] Und die zwölf Tore, waren zwölf Perlen, und ein jegliches Tor war von einer Perle, und die Gassen der Stadt waren lauteres Gold wie durchscheinend Glas.” Verse aus der Offenbarung des Johannes über das neue Jerusalem bildeten den Auftakt zum Thema der Neugründung Mannheims nach der Zerstörung im 30-jährigen Krieg und der Verleihung neuer Stadtprivilegien durch Kurfürst Karl Ludwig von der Pfalz 1652, mit denen Mannheims Bürgern u.a. Religions-, Gewerbe- und Steuerfreiheit zugesichert wurden.

Beinahe wäre das Ganze in ein stadtgeschichtliches Frage- und Antwortspiel zwischen Moderator Thomas Rothkegel und Dr. Ulrich Nieß, dem Leiter des Mannheimer Stadtarchivs, ausgeartet, hätte die Dramaturgie nicht dem “ungläubigen Thomas”, in Gestalt des “Quadratschädel”-Autors Thomas Baumann, eine Stimme verliehen.

Seine Bemerkung, neun von zehn Büchern über Mannheim beschäftigten sich mit Mannheim und seiner Geschichte und so gut wie keines mit Mannheim und seiner Gegenwart, brachte die aktuelle Gemütslage in der Stadt auf den Punkt und in die Diskussion. Weder auf dem Podium noch im Publikum, interessierte sich jemand länger für die Geschichte – das Thema: Mannheim als europäisches Modell, so auch der Titel der Veranstaltung, rückte ins Zentrum. Schnell kristallisierten sich unterschiedliche Wahrnehmungen und Perspektiven heraus. Es gelte Abzuklopfen, ob das Bild, das der Mannheimer von sich habe und das Bild, von dem der Mannheimer glaube, dass es andere außerhalb Mannheims von ihm haben, mit dem übereinstimme, wie Mannheim in der Realität außerhalb der Quadrate wahrgenommen werde. Hier lägen oft Welten dazwischen. Selbst der Hüter der Stadtgeschichte, Dr. Nieß – ein Zugereister wie die Mehrheit des Publikums, empfahl einen Mittelweg zu suchen zwischen den beiden Mannheimer Grundeinstellungen: Minderwertigkeitskomplex und Gößenwahn.

Das Tüpfelchen auf das “i” setzten zum Abschluß jene Sentenzen des Mannheimer Wollmützen-Messias, Xavier Naidoo, in denen er über seine Heimatstadt als das neue “Zion” schwadroniert, in dessen Strassenbezeichnungen die Namen der zwölf Stämme Israels wieder zu finden seien. Der Vorabend im Foyer des Nationaltheaters geriet zu einer Offenbarung der Mannheimer Seele, voller Ironie und Zwischentöne, und zu einer Perle im Reigen der Veranstaltungen im Zusammenhang mit dem Stadtjubiläum. Dem Dramaturgen sei ausdrücklich gedankt. Mehr davon!

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