Lesen.Hören1 – Mißtöne im Quadrat

16. Februar 2007 | Von | Kategorie: Literaturveranstaltungen

Nach einer langen Durststrecke haben die Organisatoren der Feuerwache und des Jubiläumsprogramms für Mannheim 2007 mit “Lesen.Hören1″ endlich wieder eine hochkarätig besetzte Reihe mit Literaturveranstaltungen in Mannheim auf die Beine gestellt. “Führende Kritiker” des deutschsprachigen Feuilletons moderieren. Vom 22. Februar bis 10. März sind in der Feuerwache unter der Schirmherrschaft von Roger Willemsen folgende Autoren zu Gast: Wilhelm Genazino, Helmut Böttiger, Martin Doerry, Jakob Hein, Olga und Wladimir Kaminer, Frank Schulz, Navid Kermani, Paul Ingendaay, Ulf Stolterfoht, Thomas Hettche, Lars Brandt, Paulus Hochgatterer, Peter Härtling, Thomas Steinfeld und Thomas Hürlimann.

Der Schirmherr wünscht sich “den Jubel der Massen und einen weichen Zug im Gesicht des Einzelnen”. Lobenden und tadelnden Kritikern hält er entgegen: “Ach, so kann man es auch sehen.” – Und es gibt nicht wenige, die das Literaturfest kritisch beäugen.

Seit längerem schon äussert sich Unmut nicht nur in der Mannheimer Literaturszene.
Bis weit in den Januar hinein kündigten die Organisatoren ihre Veranstaltungsreihe als “1. Mannheimer Literaturfest – Lesen.Hören” und als etwas völlig Neues an.
“Die Nacht der Poeten” steigt seit dem Jahr 2000 alljährlich als Literaturfest im Nationaltheater, “Die Räuber77″ feiern, wie der Name bereits sagt, 2007 ihr dreißigjähriges Jubiläum. Ihre jährlich in der Feuerwache stattfindenden Feste mögen zwar inzwischen auf wenig Resonanz stoßen, die Literaturfeste der 70ger Jahre auf dem Paradeplatz, “Literaturzirkus” genannt, waren bei Autorinnen und Autoren, Mannheimer Buchhandlungen, Verlagen und dem Publikum gleichermaßen beliebt. Selbst aus dem Kreis der Organisatoren der Heidelberger Literaturtage gibt man zu bedenken, “dass die Idee mit der Literatur im Spiegelzelt schon 1985 auf dem Paradeplatz im Mannheim verwirklicht worden ist – tolle Veranstaltungen, initiiert von Kulturamt, Nationaltheater etc.”

Still und leise hat man umettikettiert und die 1 nach hinten zu “Lesen.Hören1″ verschoben, ohne die Überheblichkeit und den Anspruch des Neuen und Einzigartigen aufzugeben. Wie schreibt der Feuerwachenleiter im Vorwort zum Februarprogramm: “Mannheim muss sich an den Metropolen messen; besser als Schwetzingen ist einfach.” Wilhelm Genazino kontrastiert im Mannheimer Morgen: “Städte wie Mannheim sollten jedenfalls nicht versuchen, mit Berlin zu konkurrieren. Das wäre hoffnungslos – und es ist auch gar nicht nötig.”

Wenn man sich die Liste der am Festival beteiligten Autoren ansieht, erschließt sich kein Zusammenhang. Es sieht so aus, als ob da jemand kurz vor Feierabend mit dem Einkaufswagen durch den “Supermarkt Literaturbetrieb” gesaust sei, auf der Suche nach teuren Häppchen, die er seinen Gästen zur Jubiläumsparty kredenzen kann um Eindruck zu schinden. Hauptsache neu und bekannt. Was waren die Kriterien bei der Autorenauswahl?

Eine Literatur Veranstaltungsreihe von einer Frau organisiert – und eine einzige Autorin mit Kochbuch im Programm. Angst vor anderen Frauen – oder sind Autorinnen deutschsprachiger Gegenwartsliteratur durch Olga Kaminers “Küche totalitär” ausreichend repräsentiert? – Ist das etwa programmatisch gemeint: Literatinnen zurück an den Herd?

Die frauenpolitische Sprecherin und Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Gemeinderat, Petra Seidelmann, meinte, “die Macher und Macherinnen des Literaturfestes, “lesen.hören 1″ haben ein Programm zusammengestellt, das Literatur in Deutschland aus rein männlicher Sicht vorstellen wird”. Ihrer Ansicht nach “eine Ohrfeige für alle Literatinnen in diesem Land”.

Regine Elsässer vom Mannheimer Frauenbuchladen Xanthippe schreibt an den Feuerwachenleiter: “Sehr geehrter Herr Rühl, gerade bringt uns eine Ihrer Mitarbeiterinnen das Programm zum Literaturfest in Mannheim, das ich sofort mit großem Interesse durchgeblättert habe. An 14 Abenden lesen 14 Männer aus ihren Büchern, ein, zwei Frauen dürfen moderieren. Wollen Sie uns wirklich glauben machen, es gibt keine Autorinnen, die Sie hätten einladen können? Ich bin fassungslos, dass die Veranstalter eines Literaturfestes, das zur 400-Jahr-Feier der Stadt veranstaltet und von dieser mitfinanziert wird, sich erdreisten, die Leistung von Frauen so komplett zu unterschlagen. Dass die künsterlische Leiterin eine Frau ist, macht das Ganze nur noch schlimmer.”

Passend dazu erreichte uns ein Kommentar: “Ich bin bestimmt nicht altfeministisch-dogmatisch, aber ziemlich ärmlich ist der Vorgang schon, wenn man die Literaturszene überschaut. Vor allem auch deshalb, weil die Mehrzahl der Besucher im Publikum immer noch die Leserinnen sind. Programmgeschick heißt nicht, dass man politisch überkorrekt sein muss aber etwas Gespür wäre angebracht. Insistierenden Frauen, wie die erfahrene und engagierte Literaturagentin und Übersetzerin Regine Elsässer müssen sich dann wahrscheinlich von Eventmanagerinnen der jetzigen Macher-Generation durch überhebliche Reaktionen lächerlich machen lassen, die männlichen Lacher haben selbige allemal auf Ihrer Seite. Wenn sie sich dabei gut fühlen… Und zu den Damen im Publikum: ich habe keinen Zweifel, dass sie trotzdem in Scharen anreisen, um Roger Willemsen anzuhimmeln. Selber blöd.”

Mannheimer Literaturfest – zumal im Jahr des Stadtjubiläums – heißt, dass dies auch irgendwie mit Mannheim zu tun hat. Genazino ist gebürtiger Mannheimer, weitere Bezüge zu Mannheim sind nicht zu erkennen. Wieso bleiben nicht nur Autorinnen und Autoren von hier, sondern auch der gesamte örtliche Buchhandel, Bibliotheken und die lokale Verlagsszene außen vor?

Bei aller Polemik: “Ein Literaturfestival zu gründen ist aber jedenfalls eine feine Sache, zumal dann, wenn es sich etablieren kann.” so Genazino; dem ist nichts hinzuzufügen. Wie aber will man ein Literaturfestival etablieren, wenn man, aus welchen Gründen auch immer, die Grundregeln erfolgreicher Buchkommunikation verletzt, und schon beim Start seine Partner vor Ort derartig vergrätzt? Was wenn die Jubiläumsparty verrauscht und der Geldhahn wieder zugedreht ist? – Deshalb jetzt hingehen und vom 22. Februar bis 10. März keine Veranstaltung versäumen. Die Autoren sind vorzüglich. Ein “Lesen.Hören 2″ wird es ohne lokale Partner nicht geben.

Artikel weiter empfehlen

Um Artikel über soziale Netzwerke weiterzuverbreiten, müssen Sie diese aktivieren - für mehr Datenschutz.

3 Kommentare
Hinterlasse einen Kommentar »

  1. Es ist die (unangebrachte) Arroganz des Teams, das einem die Sache verleidet. Hätte da jemand gesagt: Ach was, die alten Säcke haben keine Ahnung, das machen wir heute anders und hätten ein Konzept durchgezogen, ok, aber so?
    Lieblos aneinandergeklatschte Events. Sich mit großen Namen schmücken. Dafür braucht man keine Partner. Es wird keine Lesen.Hören 2 geben. Würde mich sehr wundern. Da WILL jemand gar keinen Kontakt, schon gar nicht Kontakt zwischen Autor und Publikum, denn es muss ja ein “Hoch-Zentral-Kritiker” vorgeschaltet werden, der alles erklärt. Literatur als nicht enden wollendes germanistisches Oberseminar. DAS ist das Literarturverständnis solcher Teams. Wie? Was? Buchläden, Kleinverlage, Autorengruppen, Bibliotheken? Das ist doch keine Literatur, das ist Plebs, das ist Schwetzingen.

    Aber liebe Mannheimer, will Euer Kulturbürgemeister nicht OB werden? Fragt ihn doch mal, was er von Bibliotheken und Literatur hält und zu der Arroganz der Event-Fuzzis steht! Wäre doch interessant, was er so von seinen Wählern hält.

    Aber wie schon erwähnt: Die Groupies werden kommen und die Stars anhimmeln. Sollen sie. Ich weiß wirklich noch nicht, ob ich mir das antue, obwohl ich Genazino mal wieder gerne lesen hörte.

    Grüße ins Netz

    mikel

  2. [...] Misstöne im Quadrat [...]

  3. Gute Bücher lesen, hört ihr!…

    Gänzlich schwarz war die Bühne in der alten Feuerwache, jedwegliches Licht wurde absorbiert. Die dunklen Anzüge der tätigen Kombattanten waren beinahe unsichtbar gegen die Blackbox der Guckkastenbühne, nur glänzende wei&#2…