Jakov Lind zum 80. Geburtstag

14. Februar 2007 | Von | Kategorie: Allgemein

Am 10. Februar feierte Jakov Lind, gesundheitlich angeschlagen und vom deutschen Feuilleton ignoriert und fast völlig vergessen, in London seinen 80. Geburtstag. Österreichs Bundespräsident Dr. Heinz Fischer gratulierte. Der mit 7.300 Euro dotierte Theodor Kramer Preis 2007 geht an Jakov Lind, dessen Werk von Themen wie der Ich-Suche, dem Verlust der Identität im Terror des Faschismus geprägt ist. Themen, die er mit Sinn für Ironie und groteske Situationen in seinen Büchern bearbeitete.

Heinz Landwirt, so Linds ursprünglicher Name, ist 1927 als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Wien geboren. 1938 kommt er über das jüdische Flüchtlingskomitee zu Pflegeeltern nach Holland, die Eltern emigrieren nach Palästina. Als “Jan Gerrit Overbeck” arbeitete er 1943-1945 auf einem Rheinschlepper, der ihn zeitweise auch nach Mannheim brachte. In Dillenburg ist er unwissender Kurier des ausquartierten Berliner Luftfahrministeriums. Später stellt sich heraus, dass er Helfer eines Spions der Alliierten gewesen war. Dieser trug Ergebnisse der deutschen Atomforschung weiter. 1945 Emigration nach Palästina, wo er mit dem Verfassen von Kurzgeschichten beginnt. Anfang der 50er-Jahre Rückkehr nach Wien und Studium am Reinhardt-Seminar, 1954 Übersiedlung nach London. Zwischen 1965 und 1975 war er als Gastprofessor für Creative Writing an verschiedenen amerikanischen Universitäten tätig. Seit Anfang der 70er Jahre intensive Beschäftigung mit Aquarellmalerei, Ausstellungen in Europa und in den USA.

Linds erster Erzählband Eine Seele aus Holz (1962) verarbeitet die traumatischen Erfahrungen mit dem Terror des Nationalsozialismus und dem Überleben des Holocaust auf zugleich krass-realistische wie absurde, teils phantastisch-symbolische Weise. Ein Buch, das im routinierten und eingefahrenen Literaturbetrieb wie eine Naturkatastrophe gewirkt haben muss wurde euphorisch aufgenommen. Lind war Mitglied der Gruppe 47; Seine späteren Arbeiten wurden von den Kollegen wenig geschätzt. Für Hans-Magnus Enzensberger war der 1963 erschienene Roman “Landschaft in Beton” nichts als “blutiger, banaler Grießbrei.” Lind provoziert und polarisiert. Von seinem Roman “Eine bessere Welt” (1966) heißt es in der New York Times Book Review: In der Methode ist das Buch eine Mischung aus Kafka und Beckett. Lind ist ihnen gleichrangig. Die Hannoversche Allgemeine schreibt: Was als “eine bessere Welt” bei Jakov Lind propagiert wird, würde Herrn de Sade zu schamvollen Erröten bringen, Günter Grass an seinen deftigsten Stellen wirkt gegen Lind wie ein Chorknabe. Bücherei und Bildung meint: Das Buch ist in einem Grade misslungen, der den Lesern öffentlicher Büchereien nicht mehr zuzumuten ist.

Ende der 60ger Jahre – Lind hat inzwischen der deutschen Sprache abgeschworen und schreibt nur noch englisch – beginnt er seine autobiographischen Romane: Counting My Step, 1969 (Selbstportrait, 1970); Numbers, 1972 (Nahaufnahme, 1973); Crossing, 1991 (Im Gegenwind, 1997). Dieser Teil seines Werkes wird beim Feuilleton und den Lesern wieder mit Wohlwollen wahrgenommen.

Seine Hörspiele und Theaterstücke sind in Deutschland nie richtig angekommen, im angelsächsischen Raum wurden sie gefeiert. “Anna Laub”, “Angst und Hunger” gehen bis in die Grenzbereiche menschlicher Existenz, in das “Das Sterben der Silberfüchse” versucht ein ehemaliger Nazi-Parteigenosse sich selbst mittels Blutwäsche zu entnazifizieren indem er mit einem Juden das Blut tauscht. Jeremiah Petzel: “Glaubst Du, wir sind beide verrückt gewesen oder nur Du?” Robert: “Nur ich. Ich habe dran geglaubt, ich habe an jüdisches Blut geglaubt, an arisches Blut geglaubt, und Ehrenwort, ich glaube noch immer dran.” Lange bevor Eichinger mit Bruno Ganz und Dany Levy mit Helge Schneider der Person Hitlers zu Leibe gerückt sind, ließ ihn Jakov Lind in “Die Kitzauer Affäre” auf der Bühne als “etwa 32jährig, hervorquellende Augen, eigenartig unattraktiven Mann” durch die Party-Salons streichen.

Für richtig Furore sorgte Lind noch einmal mit The Inventor, 1987 (Der Erfinder, 1988). Ein satirischer Roman in Form eines Briefwechsels zwischen den Brüdern Emmanuel und Boris Borowsky. Emmanuel hat schon als Schuljunge die Luft erfunden. Jetzt sucht er Sponsoren für sein bedeutendstes Werk, die Erlösungsmaschine. In diesem Briefwechsel taucht auch ein bekannter Ludwigshafener, der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl auf. Emmanuel Borovsky gibt einen Wortwechsel mit einem gewissen Elim wieder, der einerseits ein agent provocateur sei und sich andererseits für eine Verkörperung des falschen Messias “Schabbtai Zwi” halte. Der habe behauptet: “(…) Der Urgroßvater des jetzigen deutschen Bundeskanzlers schrieb sich noch mit einem ‘n’ statt mit einem ‘l’, war ein Hausierer aus Buscacz. Ich habe Urkunden, Beweise. Eine ganze Bibliothek von Beweisen im Tresor der Nationalbank von Vaduz. Dass Alphonso in Argentinien sephardisch betet, ist kein Geheimnis. Aber wer kennt schon den wahren Namen von Mao Tse-tung?” “Moshe Zung?”

Einige Dumpfbacken aus der braunen Ecke nahmen das für bare Münze und behaupteten fortan Helmut Kohl sei Jude. Helmut Kohl wurde als Jude, als Freimaurer und als Verräter an den Deutschen dargestellt; ein gewisser Tjudar Rudolph hatte sogar gegen Kohl Anzeige wegen Hochverrats erstattet. Bei Gary Lauck wurde er gleich zu “Chaim Hennoch Kohn”. Eine “private Homepage von Chaim Hennoch Kohn – Bundeskanzler” mit rechstgewirktem Inhalt existiert heute noch im Internet. Einige schwenkten um, als sie merkten, wohin der Hase läuft und beschuldigten jetzt Lind, er wolle einen “deutschen” Bundeskanzler verunglimpfen.

Wir jedenfalls gratulieren Jakov Lind von Mannheim aus zum 80sten, wünschen baldige Genesung und hoffen, dass er bei der großen Gala Ende Mai in Krems dabei sein kann. Der Theodor Kramer Preis wird im Rahmen eines Jakov Lind-Abends am 13. März im Jüdischen Museum Wien von Georg Stefan Troller an Angehörige des Schriftstellers übergeben werden.

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