Herbert Kollenz: Marmotta

16. April 2009 | Von | Kategorie: Buchmarkt regional

H. Kollenz: Marmotta»Welch ein Sommer hätte sein können, wenn einer gewesen wäre.« Diesen Satz aus Adalbert Stifters »Der Nachsommer« stellt Herbert Kollenz seinem Roman »Marmotta« voran; ein treffenderes Motto hätte er kaum finden können.

Die Geschichte ist alltäglich und schnell erzählt. Eine Liebe zwischen einer jungen Sizilianerin und ihrem Lehrer. Sie ist Mitglied einer Vierer-Bande von Studentinnen, die sich vorgenommen haben, den besten Mann zu finden: Er muß interessant und mindestens zehn Jahre älter sein. Sie ist Stipendiatin an seiner Hochschule. Der Herr, den sie sich als Opfer ausgeguckt hat, könnte ihr Vater sein. Natürlich stellt er sich die Frage, was diese Göre eigentlich von ihm will.

Sie pendelt ein Jahr lang zwischen ihrer Heimat- und der Gastuniversität hin und her. Immer, wenn sie nach Sizilien fliegt, wünscht er, dass er sie einmal verlassen würde, damit sie seinen Schmerz kennen lernt, den er jedesmal bei ihrer Abreise ertragen muss.

Als sie ihm ihre Heimat, die Orte ihrer Jugend zeigt, »verbrennt« er und verlässt sie während sie schläft, da er die Hitze der Insel und ihre Jugend nicht erträgt. Doch während ihrer gemeinsamen Zeit verschläft das Murmeltier (Marmotta zu dt.), wie er sie zärtlich nennt, keinen Augenblick der Glückseligkeit.

Kollenz, geboren 1949 in Schwetzingen, Abitur in Heidelberg, Ausbildung zum Antiquar, Studium der Germanistik und Philosophie, Unterricht in Deutsch als Fremdsprache an der Universität Gießen, Lehrbeauftragter am Internationalen Studienzentrum der Universität Heidelberg, präsentiert einen Sommer-Roman mit Untertönen. Die Trennung ist für ihn das stärkste Gefühl in der Liebe; eine Trennung die ihre Fortsetzung findet im Schlaf und mit seinem großen Bruder dem Tod endgültig wird.

Der Rausch der Gefühle, in dem sich »er« und »sie« – Namen haben die Kollenzschen Helden nicht – befinden, schlägt sich im Rausch der Sprache nieder. Der Text lebt von der Zweideutigkeit. Diese Zweideutigkeit bezieht er aus der Zweisprachigkeit seiner Protagonisten, aus deutsch und italienisch, aus Alter und Jugend. »Er« ist sozialisiert mit dem Italienbild Caterina Valentes, den Capri-Fischern und den »Zwei Kleinen Italienern aus Napoli«. Es zieht »ihn« nicht nur gen Italien sondern auch in den Genitalien. »Zwei Jahre habe ich nicht die Liebe gemacht; meine zweite Jugend hat mit dir begonnen, du bist der Nachsommer meiner Jugend.« »Sie« kommt in das Land Goethes, studiert an der Universität, an der einst Hegel lehrte und wird mit Graffitis an dem ehrwürdigen Gemäuer konfrontiert und reagiert empört.
Die Sprache ist Stärke und Schwäche des Buches gleichermaßen. Sie bewegt sich auf der Grenze zwischen Sprachen lernen im Erwachsenenalter und kindlichem Spracherwerb. Eine Art Kindersprache schwingt unterschwellig mit und charakterisiert die unbekümmerte Liebe zwischen »ihr« und »ihm«. Diese Sprache trägt als Stilmittel den Text in hervorragender Weise – kann andererseits dem Leser auch auf den Wecker gehen.

»Marmotta« ist ein Sommer-Roman für den Strand; man kann ihn entnervt im Sand verbuddeln und mit Begeisterung wieder ausgraben. Geeignet für empfindsame Gemüter: »Herr, wenn das Jahr anfängt zu altern, um die Zeit wenn der Sommer noch nicht todt, und der Winter noch nicht gebohren ist, sind die schönsten Blumen der Jahrszeit unsre Nelken und unsre gestriemten Sommer-Violen. Das sind Sommer-Blumen, und ich denke, sie schiken sich für Männer von mittlerm Alter – Ihr seyd von Herzen willkommen.« (Perdita in: Shakespeare, Wintermärchen, 3. Szene).
Herbert Kollenz: Marmotta; 173 S.; Leipzig 2009; Erata-Literaturverlag ISBN: 978-3-86660-071-3

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Ein Kommentar
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  1. Als ich das Buch las, war mein erster Gedanke, da versucht mal wieder ein alter Bock seine Studentin(nen) zu vernaschen, schlägt auch noch Kapital aus dieser Geschichte und schreibt anscheinend genau das, was er beruflich macht. Das wäre zu einfach.!
    Zuerst war das viele Italienisch beim Lesen hinderlich, aber die Übersetzung wird gleich nachgeliefert, ohne dass der Lesefluß gestört wird. Auch bleibt der kurze, sensible, jedoch intensive Sprachstil bis zum Schluß erhalten.
    Das Ende der Geschichte ist traurig, man fragt sich unwillkürlich, folgt sie ihm in den Tod? “Dort reichen wir uns die Hand”., das wäre ein schlechter Schlußgedanke. Je mehr ich gelesen habe, um so sympathischer wurde mir der “Alternde”, er zeigt sich von großer Liebe, Zärtlichkeit, Weisheit und Lebenserfahrung und er gibt der Studentin neuen Lebensmut. Oft wirkt sie reifer als er, so, als würde schon eine alte Seele in ihrem noch jungen Körper leben.
    Aber es gibt auch lustige Stellen, z.B. der Vergleich am Anfang S.8 zwischen Sprachkurs und Leben, “man versteht oft nichts, und hört doch gerne zu”- das finde ich gelungen. Ebenso das Wortspiel S.17 mit “Miele” und “miele”, Honig, ist höchst amüsant. Er verliert nie die Geduld mit ihr, hat keine Angst, sich lächerlich zu machen.
    Am schönsten ist die Situation unter dem Gewissensbaum, S.156. Da ist sie wirklich eine weise Frau. Vielleicht gibt es sie, solche jungen Frauen, die früh “gereift” sind? Auf alle Fälle sind beide außer dem Altersunterschied völlig gleichwertig. Sie gehen auf Augenhöhe miteinander um. Und dass ein alter Mensch eine zweite Jugend für einen jungen Mensch sein kann, finde ich eine wunderbare Idee.!